dunkel


19. September - 19. Oktober 2003 AUSSTELLUNG




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Die Arbeiten von 19 Künstlerinnen und Künstler wurden unter zahlreichen Bewerbungen aus dem In-und Ausland von einer externen Jury ausgewählt, bestehend aus der Kunsthistorikerin Prof. Dr. Annegret Jürgens-Kirchhoff, Universität Tübingen, dem Kunstkritiker Dr. Johannes Meinhardt und Michael Gompf, Dozent an der Freien Kunsthochschule Nürtingen.

So ist eine vielfältige Ausstellung entstanden, in der sich die Künstlerinnen und Künstler in ganz unterschiedlicher Technik und unterschiedlichen inhaltlichen Bezügen mit dem Thema dunkel auseinandersetzen.

Dunkelheit wird exemplarisch aufgefasst unter dem körperlichen Aspekt des Nachtschwimmens wie in der Videoinstallation "Schwarzbad" von Anne Christine Klarmann aber auch im Sinne einer körperlich erfahrbaren Dunkelheit in der Arbeit von Volker Illi "Die Dunkelheit zwischen den Brüsten". Susanne Hay setzt sich mit einem psychologischen Aspekt der Dunkelheit in ihrer Malerei "Autismus" auseinander, während Klaus Schneider anhand der Chiffre der Blindenschrift und Marc Volk mit seiner Dunkelheitsfotografie Wahrnehmung thematisieren. Carola Willbrand erweitert das Thema, um zum Teil ironische Betrachtungen über Erinnerung und zwanghafte Formen körperlicher und sozialer Begrenzung in ihren Installation "Das Dunkel" und "Die Dunkelkammer".



Mascha Aurnhammer
Susanne Hay
Volker Illi
Anne Christine Klarmann
Stephan Krasser / Tim Holthöfer
Wilma Lok
Heike Pahl
Ruth Schleeh
Klaus Schneider
Renate Schöck
Ulrich Schultheiß
Ingrid Schütz
Wlodzimierz Szwed
Marc Volk
Birgit Weber
Anita Weis
Carola Willbrand
Cornelius Wittke


Eröffnung

Freitag, 19. September 2003
19:00 Uhr

Begrüßung: Carola Dewor
Einführung: Dr. Johannes Meinhardt
"Blind-Performance": Ina Brandmaier
Jazzimprovisation: Jochen Feucht






Die Bildende Kunst hatte immer schon ein privilegiertes Verhältnis zur Dunkelheit und, davon abgeleitet; zum Dunklen. Das gilt ganz besonders für Malerei und Zeichnung, aber seit der Moderne auch für die neuen visuellen Medien, die Photographie, den Film und das Video. Der erste und einleuchtendste Grund dafür ist, dass es in der Kunst primär, und seit der Moderne quasi ausschließlich, um Sichtbarkeit geht; um eine Sichtbarkeit, die nicht zurückgebunden ist an die materielle Welt der Körper, die nicht der Funktion der Identifikation und körperlichen Erfassung von Objekten unterworfen ist, sondern die in einem eigenen, phänomenal wirklichen Bereich existiert, den man meist ‘das Pikturale‘ oder ‘die Bildlichkeit‘ nennt In diesem Bereich existiert Sichtbarkeit getrennt von materieller Präsenz; und seit der radikalen Moderne, in der geometrischen Abstraktion wie im abstrakten Expressionismus, sogar befreit von jeder Art von materieller Welt. Diese in der Geschichte der Moderne zunehmende Eigenständigkeit der Sichtbarkeit der Malerei oder der Zeichnung scheint diesen ein besonderes, privilegiertes Verhältnis zur Erscheinung zu verleihen; diese Sichtbarkeit findet ihre Existenzberechtigung und -Ermöglichung in ihrer rein visuellen Verfassung, in ihrer Pikturalität.

Aus diesem privilegierten Bezug zur Sichtbarkeit, den die Kunst und mit ihr alle Gattungen von Bildern aufweisen, ergibt sich aber auch ein privilegierter Bezug zur Dunkelheit. Denn wenn die Sichtbarkeit sich nicht mehr in der materiellen, haptisch und taktil zugänglichen Realität von Körpern begründet; wenn Sichtbarkeit nicht mehr eine akzidenzielle Eigenschaft von materiellen Körpern ist, sondern selbst eine wesentliche, phänomenale Wirklichkeit ist; muss sie sich selbst begründen. Wie aber kann sich Sichtbarkeit selbst oder in sich selbst begründen? Nur indem sie in ihre eigene Verfassung hinuntertaucht, indem sie in ihre eigene Dunkelheit eintaucht, und das Heraustreten der Sichtbarkeit aus der Dunkelheit; des Sichtbaren aus dem Dunklen selbst sichtbar macht. Das ist zuerst ganz wörtlich zu verstehen: aus der Materialität eines meist opaken, dunklen Stoffes, der Farbe, des gebundenen

Pigments, tritt die Sichtbarkeit des Bildes rätselhafterweise quasi von selbst heraus, in einer Art Emanation - wobei der Terminus Emanation ganz wörtlich richtig wird, wenn man ihn als Heraustreten des Lichts oder eines Glanzes versteht. In großer Malerei, etwa bei dem späteren Rembrandt, wird diese mit Potentialität geladene, produktive Dunkelheit evident der dunkle Hintergrund demonstriert sichtbar die Fähigkeit; alles Sichtbare, alles Bildlicht aus sich hervorgehen zu lassen, in einer Bewegung der Visualität; die der Betrachter an und in sich selbst beobachten kann. Die Dunkelheit scheint so die Bedingung des Lichtes und der Sichtbarkeit zu sein. Nicht umgekehrt. Die naheliegende Annahme, dass Bildende Kunst mit Licht zu tun habe, erweist schon auf den ersten Blick als unzureichend.

Aber auch aus Gründen und Abgründen, die im Licht selber liegen, hatte die Kunst immer schon ein privilegiertes Verhältnis zur Dunkelheit Denn das Licht selbst ist wesentlich dunkel. Lassen sie mich bitte zur Erläuterung einen Abschnitt von Maurice Blanchot zitieren, dessen Brillanz meine Kräfte weit übersteigt „Das Licht leuchtet; will heißen, daß das Licht sich verbirgt, es ist dies sein boshafter Zug. Das Licht leuchtet: was erleuchtet ist, ist gegenwärtig in einer unmittelbaren Anwesenheit, die sich entbirgt, ohne das zu entbergen, was sie zur Erscheinung bringt. Das Licht tilgt seine Spuren; selbst unsichtbar, macht es sichtbar; es gewährt die direkte Erkenntnis und sichert die erfüllte Anwesenheit, während es sich selbst ins Indirekte zurückzieht und sich als Anwesenheit aufhebt. Seine Täuschung wäre also, daß es sich in eine strahlende Anwesenheit verbirgt, die unendlich viel dunkler als irgendeine Dunkelheit ist, weil sie der Akt der Klarheit selber ist, weil sich das Werk des Lichtes erst dort vollendet; wo das Licht uns vergessen läßt, daß etwas wie das Licht am Werk ist. Die Klarheit das Nicht-Licht des Lichtes; das Nicht-Sehen des Sehens. So ist das Licht (mindestens) zweifach trügerisch: weil es uns über sich selbst betrügt und uns betrügt indem es für unmittelbar ausgibt, was es nicht ist, für einfach, was nicht einfach ist.“

Diese wesentliche Dunkelheit des Lichts, dieses Vergessen des Lichts führt in der Wahrnehmung zu etwas, was man Lichtsvergessenheit nennen könnte. Die Kunst jedoch, da sie die Dunkelheit benötigt, um das Heraustreten des Sichtbaren aus dem Dunkeln hervorzubringen, durchschlägt diese Lichtsvergessenheit und macht das Licht selbst als einen Effekt der Dunkelheit sichtbar. Nur in dem Maße, wie ein Bild seine eigene Verfasstheit als Wahrnehmungsgegenstand zur Erscheinung bringt, wird es ästhetisch reflexiv; und Malerei, die das Heraustreten des Sichtbaren aus dem Dunkel sichtbar macht; reflektiert so noch die Verfassung von Sichtbarkeit und damit von Wahrnehmung überhaupt Auf eine bemerkenswerte und zugleich völlig wörtliche Weise kann Photographie das Licht zur Erscheinung bringen; wenn das Licht nämlich nicht mehr die selbstverständliche und vergessene Voraussetzung aller Sichtbarkeit ist, sondern wenn es selbst zur Erscheinung kommt und damit Gegenstand der Wahrnehmung wird: als Lichtquelle in der Dunkelheit, als Lichtpunkt von geringer Ausstrahlung, als verortbarer Glanz. Das können natürliche Lichtquellen sein, wie der Mond oder die Sterne, oder künstliche Lichtquellen, wie Straßenlampen und erleuchtete Fenster. Photos von Szenerien in der Nacht können so mit der spezifischen Sichtbarkeit lokaler Lichtquellen, mit einem ortsgebundenen und situativen Aufleuchten von Lichtquellen in der allgemeinen Dunkelheit das Licht selbst zum primären Gegenstand des Bildes machen: ein verdunkeltes Leuchten, eine aufgeschobene Blendung. Nicht zufällig wirkt der Raum solcher Photographien fremd und unwirklich; dieser Raum ist nicht mehr sichtbar, kann vom funktionalen Sehen nicht mehr durchschaut und gemessen werden, sondern gibt sich nur noch in einzelnen Punkten, als Umgebung einer Lichtquelle, in einer Topologie der Verstreuung zu sehen. Dieser Raum scheint und erscheint deswegen bewegungslos und undurchdringlich, analog der Tiefsee mit dem kalten Leuchten von Bio-Luminiszenz.

Dunkelheit in diesem radikalen Sinn ist nicht das Gegenteil von Helligkeit, sondern der dunkle Grund und Abgrund aller Sichtbarkeit. In dieser Dunkelheit löst sich Wahrnehmung überhaupt auf; und in fast allen Arbeiten in der Ausstellung bildet Dunkelheit nicht nur die absolute Grenze des Sehens, sondern auch des Körpers und der Körperlichkeit Diese Dunkelheit erschafft unberührbare Ferne, lässt sich nicht in das Taktile und Haptische von Körpern, und besonders von Plastik transformieren. Diese Dunkelheit ist nicht plastisch und nahe, sondern sie entzieht sich in eine absolute, unsichtbare Ferne. Während das funktionale Sehen Berührung auf Entfernung im Raum ist, zerstört die wesentliche Dunkelheit nicht nur den Raum, sondern auch die Körperwahrnehmung und die taktile Wahrnehmung von Körpern. Und genau damit ist diese Dunkelheit wesentlich ästhetisch-reflexiv: sie lässt die ästhetische Einstellung in der Welt spürbar werden, als Verlust jeder Möglichkeit; Körper zu ergreifen und zu besitzen, und verführt oder nötigt das Subjekt zu einer passiven Rezeptivität gegenüber dem sich zeigenden oder sogar wörtlich aufleuchtenden Sichtbaren im Bild.

Mit der klassischen Moderne tauchte ein weiterer, dritter Grund dafür auf, dass Kunst ein privilegiertes Verhältnis zur Dunkelheit hat. Das beginnt scheinbar mit dem Gegenteil: es gibt in der Moderne, vor allem in der abstrakten Kunst, eine grundlegende Sehnsucht der Kunst nach Klarheit, Transparenz und Evidenz, also nach einer wesentlichen Ähnlichkeit des Kunstwerks mit dem Begriff. Diese Sehnsucht, die sich direkt aus der selbstreflexiven, also auch begrifflichen Grundverfassung der Moderne ableiten lässt; versuchte, das Bild, oder genauer: das Gemälde von allem zu reinigen, was an ihm nicht transparent und einleuchtend ist; es von allen Kontingenzen zu befreien, zu denen selbst noch jede bestimmte Farbe und jede konkrete Form gehören. Vor allem bei Malewitsch am Beginn der abstrakten Kunst und bei Reinhardt an deren Ende treibt diese Sehnsucht die Künstler an die Grenze des Verschwindens der Malerei. In der abstrakten Kunst wütete deswegen ein seltsamer, fast neuplatonisch-gnostischer Dualismus, der die reinen Ideen in ihrer geistigen Anschaulichkeit oder Intelligibilität der Dunkelheit, Intransparenz und Opazität aller Materie und damit der Welt selbst entgegensetzt.

Es ist kein Zufall, dass die ganze Metaphorik der Erkenntnis in der europäischen Geistesgeschichte an den Gegensatz von Licht und Dunkelheit geknüpft ist: Einleuchten, Evidenz, Klarheit, Transparenz, Erhellung, Aufklärung, Einsicht etc. sind Termini, die ein intellektuelles Einleuchten, ein bewusstes Verstehen meinen und dabei ein inneres Licht des Verstandes behaupten. Dieses innere Licht des Subjekts, sein Verstand, ist die optische Generalmetapher für den Selbstbesitz des Bewusstseins und seiner Gegenstände. Dementsprechend wird die Dunkelheit mit der Materie, dem Intransparenten, Opaken, Widerspenstigen und Sich-Entziehenden konnotiert. Dunkelheit ist eine wesentliche Metapher, die aus der Wahrnehmung und der Ästhetik direkt in die beiden anderen klassischen Bereiche des philosophischen Denkens übergegangen ist einerseits in die Erkenntnistheorie und deren Propädeutik, die Logik, andererseits in die Ethik. Wenn von Dunkelheit die Rede ist, sind also immer schon, in einer nicht zu stoppenden Verschiebung, nicht nur Wahrnehmung und Ästhetik impliziert, sondern auch Erkenntnistheorie und Ethik. Ein deutliches und mit der Kunst eng verknüpftes Beispiel ist der Schmutz: Schmutz als Kategorie der leiblichen Wahrnehmung wird im Ethischen zu einer spezifischen Qualität des intentional Dunklen oder Bösen und im Bereich der Erkenntnis zu einer spezifischen Qualität des Undurchdringlichen, Chaotischen und Begriffslosen; und erst im Durchgang durch das ganze Feld dieser Metaphorik konnte Schmutz in der Kunsttheorie zu einem positiven, ästhetisch-reflexiven Begriff werden. Dabei ist auf einer materiellen Ebene Malerei, und etwas verdeckter auch Photographie, nichts anderes als ein Herumpanschen mit schmutzigen, beschmutzenden, extrem klebrigen Materialien.

Die Sehnsucht der Moderne nach Klarheit und Intelligibilität, nach Licht und geistigem Licht rief schon früh eine Gegenbewegung hervor: ein Eintauchen der Malerei und der Zeichnung in die Dunkelheit; nun aber nicht mehr die wörtliche Dunkelheit des Schwarz oder der Abwesenheit von Licht; sondern in die Dunkelheit der Existenz oder der Psyche. Auch hier in der Ausstellung lassen sich einige Gemälde und Zeichnungen finden, in denen eine existentielle und expressive Dunkelheit der Grund und Abgrund ist; aus dem die sichtbaren Gestalten oder - fast immer - Figuren heraustreten. Indem die fruchtbare, mit Potentialität schwangere Dunkelheit in die Tiefe des schaffenden Subjekts verlegt wird, indem eine existentielle oder psychische Dunkelheit sich im Kunstwerk ausdrückt, wird die Dunkelheit zu einem Bewusstseinsphänomen: dunkel ist, was dem Bewusstsein entgeht; was sich jenseits seiner Grenzen in der Existenz oder dem psychischen Leben ereignet und auf teilweise komplizierten Wegen im Kunstwerk ausdrückt.

Doch hat solche existentielle Dunkelheit immer noch am Idealismus der Moderne teil.

Eine noch radikalere, noch stärker ihre idealistischen Grundlagen erschütternde Dunkelheit brach in die Kunst der Moderne in den sechziger Jahren ein: in dem Maße, wie die selbstverständliche Sinnhaftigkeit der Kunst in Frage gestellt wurde, wie Kunstwerke zu Objekten, zu spezifischen Objekten in der Welt wurden, die nicht selbst Sinn transportierten oder die nicht selbst ausdrückten, sondern selbst nur intransparente Gegebenheiten der Situation waren, wurde die Kunst auf eine neue Weise dunkel: sie wurde kontingent, zufällig, sinnlos und ausdruckslos wie die Gegenstände in der Welt selbst. Die Dunkelheit des Begriffslosen, Subjektlosen und Unverständlichen ergoss sich über die vorher so erhellenden, so expressiven und zumindest ästhetisch mit Sinn erfüllten Kunstwerke und hinterließ nur noch bloße materielle Konstellationen. Diese Dunkelheit verstärkte sich noch in den Medienbildern, die seit den sechziger Jahren in die Kunst einwanderten: sie sind von vornherein nicht mehr bedeutungsvoll, klar, transparent und bewusstseinsförmig, sondern bloße, wenn auch gelenkte Aufzeichnungen der Dunkelheit, Intransparenz und Bedeutungslosigkeit der Wirklichkeit. Bloße Einschreibungen des Lichts, Ergebnisse von energetischen Prozessen in optischen, physikalischen und chemischen Zusammenhängen ist sogar alles Licht in ihnen von vornherein dunkel: nämlich sinnlos, geistlos, intentionslos, produktionslos, bewusstlos.


© Dr. Johannes Meinhardt






BEGLEITPROGRAMM

dunkel


Do, 25. September
20:00 Uhr

"Dunkelzeit" Hörstück / Installation
B-Plan-Projekt

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Do, 02. Oktober
20:00 Uhr
Hay Quartett
Streichquartett und Szenische Lesung mit Dietmute Zlomke

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Do, 09. Oktober
20:00 Uhr
"It's showtime baby" Theaterstück
Werner Strenger (Schauspieler),
Meinolf Steiner (Regie),
Stephan Potengowski (Bühnenbild)

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Do, 16. Oktober
20:00 Uhr

"sehen glauben"
Künstlergespräch mit Klaus Schneider

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